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Schöne neue Embryo-Designwelt!

Ein Tabu-Bruch mit Folgen: Chinesische Forscher haben erstmals menschliche Embryonen gezielt gentechnisch verändert. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis «Designer»-Babies geboren werden.

Die Gerüchte kursierten schon eine Weile, seit Donnerstag herrscht Gewissheit: Chinesische Forscher haben erstmals menschliche Embryonen gezielt gentechnisch verändert. Sie wollten zwar «nur» testen, ob diese Eingriffe bei menschlichen Embryonen machbar sind. Doch mit dem Experiment überschritten sie genau jene Grenze, vor der selbst Wissenschaftler unlängst in den renommierten Fachblättern «Nature» und «Science» gewarnt hatten. Es sei noch viel zu früh für Experimente an menschlichen Keimzellen, so der Tenor der Kommentare, das Risiko für mögliche Schäden am Embryo viel zu hoch.

Diese Befürchtungen trafen nun ein. Kein einziger der 86 behandelten Embryonen trug ausschliesslich die gewünschte Genmodifikation. Viele der Embryonen starben sofort, bei anderen schlug der Eingriff fehl. Zugutehalten muss man den Chinesen, dass sie für ihr Experiment nur ­defekte, nicht überlebensfähige Embryonen aus In-vitro-Befruchtungen verwendeten, und dass sie selber die Probleme offenlegten.

Genetische Veränderungen an Keimzellen wie Eiern, Spermien oder Embryonen sind ethisch umstritten, weil einmal getätigte Modifikationen an die nächste(n) Generation(en) weiter vererbt werden. Damit sei künftigen Designerbabys Tür und Tor geöffnet, warnen Kritiker. Ein Tabubruch ist es allemal. Andererseits ist die Aussicht, schwere Erbkrankheiten wie Morbus Huntington oder zystische Fibrose ein für alle Mal aus einem Familienstammbaum zu verbannen, auch verlockend. Dies dürfte die chinesischen Forscher angetrieben haben.

Als Kollateralschaden des Vorpreschens kommt nun auch die Technologie in Verruf, welche die Versuche erst ermöglichte. «Crispr» heisst das Werkzeug, mit dem man Gene in allen möglichen Zellen und Organismen korrigieren kann (man spricht von «Genome Editing»), so wie man mit «Word» einen Aufsatz verbessert. Crispr gilt schon jetzt als wichtigste neue Technologie in der Genforschung seit über 40 Jahren. In der Medizin hofft man, mit Crispr bestimmte angeborene Immundefekte oder Erkrankungen des Blutsystems heilen zu können.

In rund 40 Ländern, darunter der Schweiz, sind Eingriffe an Embryonen verboten. In den USA oder eben in China gibt es aber ­keine entsprechenden Gesetze. Daher fordern viele Forscher einen selbst auferlegten Marschhalt für Embryonenexperimente, denn die Crispr-Technologie ist alles andere als ausgereift. Wohl vergebens. In mindestens drei oder vier ­Labors, und nicht nur in China, so munkelt man, wird derzeit mit menschlichen Embryonen experimentiert.

Was jetzt geschieht, erinnert an den letzten grossen Hype, das Klonen. Kaum hatten britische Forscher das Schaf Dolly kopiert , versuchten ein paar Spinner auch Menschen zu klonen. Die internationale Forschergemeinde warnte damals schnell vor solch «inakzeptablen Versuchen». Mit dem Aufruf konnten sie vorerst zwar nicht alle Verrückten abhalten. Menschenklonen ist heute aber kein Thema mehr.

Es ist löblich, dass sich die Wissenschaft in ethisch heiklen Fragen selber Grenzen zu setzen versucht. Doch letztlich können auch eigens auferlegte Richtlinien nicht verhindern, dass hemmungslose Forscher den Tabubruch trotzdem suchen. Im Fall der genveränderten Embryonen wird es sogar, anders als beim Klonen, nur eine Frage der Zeit sein, bis das Vorhaben jemandem gelingt, diese Embryonen dann von Frauen ausgetragen werden und zu Babys heranwachsen werden. Schöne neue (Embryo-)Designerwelt!

10vor10 zelebriert Gentech-Mythos

Die Geschichte ist so erschütternd, sie muss einfach wahr sein. Da bringen sich in Indien Jahr für Jahr rund 17 000 Baumwollbauern um, weil sie wegen hoher Schulden keinen anderen Ausweg als den Freitod mehr sehen. Schuld an den tragischen Suiziden sei der US-Agrokonzern Monsanto, der den Bauern überteuertes Gentech-Saatgut verkauft und sie in den Ruin treibt.

Lanciert wurde die Selbstmord-Story 2006 durch die indische Aktivistin Vandana Shiva. 2008 sprach die britische «Daily Mail» von einem «Gentech-Genozid», auch Prinz Charles machte die Gentech-Baumwolle für die Suizide verantwortlich. Die Geschichte tauchte in den folgenden Jahren regelmässig in den Medien auf – und wurde praktisch nie hinterfragt. Auch letzten Dienstag nicht, als «10 vor 10» die x-te unkritische Version der Geschichte ausstrahlte – notabene (und undeklariert!) ein gut abgehangener ARD-Bericht vom September 2013.

So tragisch jeder Suizid eines indischen Bauern ist – die Story hat ein Problem: Sie stimmt nicht, der Zusammenhang mit dem Gentech-Saatgut ist ein Mythos. Die Selbstmordrate unter indischen Bauern ist seit 1997 in etwa konstant, mit leichter Abwärtstendenz in den letzten Jahren; das Gentech-Saatgut wurde aber erst 2002 eingeführt und erst ab etwa 2006 grossflächig angebaut. Kommt dazu, dass seit der Einführung der Bt-Baumwolle – die Gentechpflanzen produzieren ein Insektengift und benötigen daher weniger Pestizide – die Erträge der indischen Bauern deutlich gestiegen sind und es ihnen wirtschaftlich und gesundheitlich generell besser geht. Und sowieso: Die Suizidrate ist in der Gesamtbevölkerung etwa doppelt so hoch wie bei den Bauern.

Der Mythos kaschiert die wahren Probleme: Die indische Landwirtschaft ist weit weniger produktiv als in vergleichbaren Ländern. Vielerorts fehlen Maschinen und Bewässerungssysteme, man verlässt sich auf den Monsun. Baumwolle braucht aber viel Wasser, Trockenheitsperioden können schnell zu Totalausfällen führen. Eine zweifelhafte Rolle spielen auch die Banken. In einzelnen Bundesstaaten verleihen sie kaum Kredite an die Kleinbauern. Das treibt diese mitunter in die Arme von Kredithaien, die Wucherzinsen verlangen.

Jeder, der den Mythos weiterzelebriert, ist daher mitschuldig, wenn die wahren Probleme in Indien nicht angegangen werden. Und wenn ein TV-Sender wie das SRF-Flaggschiff «10  vor 10» die Mär einfach gutgläubig weitererzählt, ist das zudem eine publizistische Bankrotterklärung. Das Hinterfragen, das kritische Nachhaken ist schliesslich die edelste aller journalistischen Aufgaben.

Abstruse Thesen-Wissenschaft

Wenn ein Journalist eine fixe Idee im Kopf hat und krampfhaft nach Hinweisen sucht, um seine möglicherweise ziemlich abstruse These zu stützen, dann spricht man von Thesenjournalismus. Das Genre ist weit verbreitet, aber auch verpönt. Wie ist es aber mit einem Wissenschaftler, der eine fixe Idee im Kopf hat und mit allen Mitteln versucht, seine (möglicherweise ebenfalls ziemlich abstruse) These zu beweisen? Wie nennt man solche Forschung? Ist das Thesenwissenschaft?

Leider ist diese – eigentlich zutiefst unwissenschaftliche – Form weit verbreitet. Anstatt zu versuchen, Hypothesen unvoreingenommen zu prüfen und entweder zu verifizieren oder falsifizieren – wie das eigentlich «lege artis» wäre in der Wissenschaft –, versuchen Forscher oft, mit teilweise bemerkenswerten statistischen Verrenkungen nur die eigenen Hypothesen zu belegen. Man nennt das auch «confirmation bias». Frei nach dem Motto: Eine Idee, die man im Kopf hat, die muss doch einfach stimmen!

Ein Extrembeispiel für einen Thesenwissenschaftler ist Gilles-Eric Séralini. Der Molekularbiologe der Universität Caen ist ein überzeugter, ja missionarischer Gentechgegner, der seit Jahren zu beweisen versucht, dass gentechnisch veränderte Pflanzen des Teufels sind. Er ist auch Präsident der von ihm mit gegründeten gentechkritischen Nonprofit-Organisation CRII-GEN (Comité de recherche et d’information indépendantes sur le génie génétique).

Letzte Woche nun schienen seine jahrelangen Bemühungen endlich zu fruchten. Eine Studie, die Séralini und sein Team in der wenig beachteten (Impact Factor: 3), aber immerhin peer-reviewten Fachzeitschrift «Food and Chemical Toxicology» publiziert hatten, schlug medial ein wie eine Bombe. Denn die Forscher kamen darin zum Schluss, dass gentechnisch veränderter Mais Ratten früher sterben lässt und zu einer höheren Krebsrate führt. Und wie, um ihre Aussage zu bekräftigen, illustrierten die französischen Forscher die Studie mit abstossenden Bildern von Ratten, die an riesigen Tumoren leiden. Da war er endlich, der Beweis!

Und ein gefundenes Fressen für die Medien. «Gentechmais führt zu höherer Krebsrate», titelte Newsnet/Tagesanzeiger, «Genmais lässt Ratten früher sterben», hiess es bei www.sf.tv (beide Texte basierten auf einer SDA-Meldung), und «EU-Kommission alarmiert – Studie: Ratten werden nach Genmais-Futter krank», schrieb das deutsche Magazin Focus. Der Tenor war klar: eine alarmierende Studie!

Solche Schlagzeilen haben zwei Vorteile: Erstens lassen sie sich gut verkaufen. Und zweitens kann man sich als Journalist die Mühe ersparen, die Studie kritisch zu hinterfragen und ihr allenfalls gar die Luft rauszulassen. Denn wer sich ein bisschen im Internet umgeschaut hat, hat schnell gemerkt, dass Experten aus verschiedensten Fachrichtungen und Lagern die französische Untersuchung heftig kritisierten. Die Webseite www.sciencemediacentre.org zum Beispiel stellte eine ganze Reihe skeptischer Einschätzungen britischer Wissenschaftler ins Netz.

Eines ist mittlerweile klar. Die Veröffentlichung der Rattenstudie war allenfalls medial eine Bombe, wissenschaftlich ist sie wohl ein «Rohrkrepierer», wie «Le Temps» schön titelte. Als eines von wenigen Newsportalen in der Schweiz hinterfragte die welsche Tageszeitung die Studie mit der nötigen Portion Skepsis. (In der SonntagsZeitung stand natürlich ebenfalls ein kritischer Bericht.)

Im Fokus der Kritik steht die statistische Auswertung. Die Methoden seien nicht gebräuchlich, unkonventionell, sagte etwa Tom Sanders vom King›s College in London auf www.sciencemediacentre.org. Andere Experten sprechen von «statistischem Fischen» oder gar von «Fantasie-Statistik».

Um diese Kritik zu verstehen, muss man die Versuchsanordnung etwas genauer anschauen. Séralini und sein Team testeten insgesamt 200 Ratten, die sie in 20 Gruppen aufteilten. Je 10 Männchen und Weibchen erhielten eine tiefe (11 Prozent), eine mittlere (22 Prozent) und eine hohe (33 Prozent) Menge an herbizidresistentem Gentechmais (NK603) im Futter, wiederum je 10 Tiere erhielten die drei NK603-Dosen plus das Herbizid Roundup (gegen das die Maispflanzen resistent sind), und weitere je 10 Ratten erhielten nur das Herbizid im Wasser (in drei Dosen). Blieben je 10 Männchen und Weibchen, die als Kontrollgruppe mit «normalem» Futter ernährt wurden. Anders als in solchen Studien üblich (drei Monate), dauerte die französische Untersuchung Forscher zwei Jahre lang – also ein ganzes Rattenleben.

Vergleicht man nun die einzelnen Kleingruppen, zeigen sich in der Tat Unterschiede bezüglich Krebs und frühzeitigem Tod. In einigen Testgruppen erkrankten die Tiere häufiger (vor allem die Weibchen) und starben früher als in den beiden Kontrollgruppen, in anderen Testgruppen aber waren die behandelten Tiere gesünder als die Kontrolltiere. Selbstredend, dass Séralini & Co. letzteres nicht an die grosse Glocke hängen, sondern in ihrer kaum durchblickbaren statistischen Auswertung verschwinden liessen.

Das heisst: Wahrscheinlich handelt es sich bei den gefundenen Zahlen um zufällige Variationen. Denn die beiden Kontrollgruppen mit nur je zehn Tieren sind schlicht zu klein, um gesicherte Aussagen zu machen. Normalerweise setzen Forscher in der Kontrollgruppe gleich viele Tiere ein wie in der Testgruppe. Kommt dazu, dass der benutzte Rattenstamm (Sprague Dawley) von Natur aus äusserst krebsanfällig ist. Auch von den 20 Kontrolltieren entwickelten fünf Tumoren (drei Männchen, zwei Weibchen). Es könnte auch sein (aber das ist reine Spekulation), dass die französischen Forscher bewusst Resultate herausgepickt haben, die zu ihrer Hypothese passen oder dass sie gar absichtlich zwei Kontrollgruppen von je 10 Tieren mit relativ gesunden Ratten ausgewählt hatten.

Ein weiterer Kritikpunkt: Die Studienautoren fanden keine Dosis-Wirkungskurve. In fast allen toxikologischen Studien geht man aber davon aus, dass mit zunehmender Dosis – hier die Menge Gentechmais oder Herbizide – mehr Tiere gesundheitliche Probleme kriegen. Doch dem war nicht so. So starben Männchen mit der höchsten und zweithöchsten Dosis Genmais sogar später als die Kontrolltiere.

Séralini erklärt das ungewöhnliche Ergebnis mit einem «Schwellen-Effekt», dass also schon die geringste Dosis Genmais, Genmais plus Pflanzengift oder Herbizid krank macht, indem es die hormonelle Balance stört. Klingt gut, ist aber reine Spekulation und mit keinerlei Daten hinterlegt. Kommt dazu, dass aus der Studie nicht ersichtlich wird, ob nun das Herbizid gefährlich sein soll oder der NK603-Mais oder der gespritzte Mais.

Angesichts der Brisanz der Resultate stellen sich aber auch ganz grundsätzliche Fragen: Warum haben hunderte von früheren Studien keine Effekte gefunden? Warum sterben Millionen von Menschen, die seit fast 20 Jahren Genfood essen, nicht wie die Fliegen weg, wie ein australischer Forscher in verschiedenen Medien anmerktte? Die Menschen werden sogar immer älter. Und warum merkt man in den Ställen all den Schweinen und Rindern nichts an, die milliardenfach täglich mit Gentechmais oder -soja gefüttert werden? Soll eine einzelne Studie diese Erfahrungswerte nun auf den Kopf stellen?

In der Forschung gibt es eine Regel, die besagt: Ausserordentliche Behauptungen brauchen ausserordentliche Beweise. Davon ist Séralinis Paper meilenweit entfernt. Können die Resultate der Caen-Forscher nicht repliziert werden, sind sie nicht einmal das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind. Der New York-Times Wissenschaftsjournalist und Blogger Andrew Revkin spricht vom «Ein-Studien-Syndrom». Er bezeichnet damit Einzelstudien, die von Aktivistengruppen wie den Gentechgegnern missbraucht werden, um ihre Agenda zu «pushen», egal wie dünn oder zweifelhaft die Datenlage ist.

Revkin bringt uns auch wieder zurück zum Wissenschaftsjournalismus. Es wäre toll, wenn solch intelligenten Analysen auch hierzulande zu Debatte beitragen würden. (Vielleicht schafft das ja in Zukunft diese Webseite.) Die Realität sieht leider ein wenig anders aus. In der Schweiz gibt es nicht allzu viele Redaktionen, die Journalisten beschäftigen, welche dank ihrem wissenschaftlichen Knowhow erkennen, wenn ein Forscher «Thesenwissenschaft» betreibt oder wenn eine Studie nicht ganz koscher ist oder sogar zum Himmel stinkt. Leider halten es weder die SDA noch die führenden Online-Portale für nötig, dieses Knowhow auf ihre Redaktion zu holen. Und so wird im (digitalen) Blätterwald auch künftig noch manche Bombe platzen – auch wenn sie eigentlich ein Rohrkrepierer ist.

geschrieben: 24.9.2012