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Stabiles Hoch am falschen Ort

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Die Wetterlage, die uns 2013 frustriert, brachte uns 2003 den Hitzesommer

Von Nik Walter

Das scheinbar schon ewig anhaltende miese Wetter hängt nicht nur notorischen Nörglern zum Hals heraus. Auch Fachleute haben mittlerweile die Nase voll von der kühlen Nässe und dem ständig bedeckten Himmel. «Das Hauptproblem ist, dass es schon seit Anfang Jahr so übel ist», sagt der Meteorologe Felix Blumer von SRF Meteo.

In der Tat: Seit mindestens 30 Jahren hat sich die Sonne in den ersten fünf Monaten eines Jahres nie mehr so wenig gezeigt wie 2013. In Basel zum Beispiel schien die Sonne gemäss Angaben von SRF Meteo von Anfang Januar bis heute gerade mal 321 Stunden – das ist etwa halb so viel wie im Durchschnitt der letzten 30 Jahre. «Die Leute leiden an der Sonnenlosigkeit», sagt auch Stephan Bader, Klimatologe bei Meteo Schweiz. Höchstwahrscheinlich wird 2013 als das Jahr mit der geringsten Sonnenscheindauer in die Annalen eingehen.

Die fehlende Sonne ist aber der einzige Wetterfaktor, der dieses Jahr deutlich von der Norm abweicht. Die Niederschlagsmengen bewegen sich im normalen Bereich. «Es regnete häufig, aber nicht die grossen Mengen», sagt Bader. Ähnliches gilt für die Temperatur: Diese ist im Mai zwar 1,7 Grad tiefer ausgefallen als im Schnitt der letzten 30 Jahre, dramatisch ist diese Abweichung aber nicht. Warum die meisten Menschen den Mai trotzdem als kalt wahrgenommen haben, liegt laut Bader an den warmen und schönen Lenzen der jüngsten Vergangenheit: «Wir wurden in den letzten Jahren im Frühling von der Klimaerwärmung verwöhnt.»

Nicht so 2013. Das heisst aber nicht, dass am Klimawandel nichts dran ist. Der kalt-feuchte Frühling passe bestens in die natürliche Variabilität des Wettergeschehens, sagen Stephan Bader und der Klimaphysiker Reto Knutti von der ETH Zürich unisono. «Eine fürs Klima relevante Periode dauert 30 Jahre.»

Allenfalls haben – paradoxerweise – die kälteren Winter etwas mit der Klimaerwärmung zu tun. Diese Hypothese stellten vor zwei Jahren deutsche Klimaforscher auf. Demnach soll das Abschmelzen des Polareises zu einer Veränderung der nordatlantischen Zirkulation führen und damit zu mehr zu uns strömender Kaltluft. Reto Knutti hält indes wenig von dieser These: «Fünf kältere Winter bedeuten nichts.» Eigene Experimente hätten den von den deutschen Forschern postulierten Effekt nicht gefunden.

Bleibt die Frage: Warum ist dieser Frühling so grau und kalt? Die Antwort liefert die Meteorologie – und nicht die Klimaforschung. Ein blockierendes Hoch über dem Atlantik sei die Ursache, sagt der Meteorologe Thomas Bucheli von SRF Meteo. «Das ist ausserordentlich stabil.» Am Ostrand dieses Tiefs wird immer wieder kalte Polarluft gegen Mitteleuropa geführt. Dies bringt uns Regen, Schnee und Kälte.

Das stabile Atlantikhoch beschreibt laut Bucheli eine sogenannte Omega-Lage (siehe Grafik oben, Omega-Form). Ein Warmlufttropfen stösst dabei bei Island in polare Gebiete vor. Ein zweites stabiles Omega-Hoch macht sich über Russland und Nordskandinavien breit. Und genau zwischen den beiden Hochs stösst der Kaltluftpfropfen weit in den Süden, bis hin zu uns. Übrigens: Eine ähnliche Omega-Lage bescherte uns den Hitzesommer 2003 – damals lag das Hoch aber über Europa.

Dieser Frühling bleibt wohl eine Ausnahme. Bucheli glaubt nicht, dass wir künftig öfter über so lange Zeit mit nass-kalter Witterung rechnen müssen. «Die Atmosphäre ist nichts Fixes.»

Völlig unbekannt sind Kälteeinbrüche Ende Mai indes auch nicht. Ältere Semester mögen sich vielleicht an 1962 erinnern. Am 1. Juni war es damals ungewöhnlich kalt, es schneite bis ins Flachland. Aber so weit muss es in den nächsten Tagen ja nicht kommen.

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 16.5.13