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Mit Darmbakterien durch dick und dünn

Menschen mit einer geringen Darmflora-Vielfalt neigen eher zu Übergewicht und entzündlichen Erkrankungen. Eine Umstellung der Ernährung kann die Diversität erhöhen

Foto: iStock

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«Sage mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist.» Dieses Bonmot ist schon 200 Jahre alt, doch noch immer aktuell. Leicht abgewandelt müsste es heute allerdings heissen: «Sage mir, welche Darmflora du hast, und ich sage dir, wie gesund du bist.»

Die Hinweise, dass die 100 Billionen bakteriellen Mitbewohner im Darm einen entscheidenden Einfluss auf unsere Gesundheit ausüben, haben sich in den letzten Jahren stark verdichtet. So ist die Zusammensetzung der Darmflora nicht nur bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen wie Reizdarm, Morbus Crohn oder Colitis gestört, sondern oft auch bei solchen, die an Diabetes, Herzkreislaufproblemen oder starkem Übergewicht leiden. Allerdings ist in den meisten Fällen nicht klar, ob die beeinträchtigte Darmflora am Ursprung der Krankheiten steht oder nur eine Konsequenz davon ist.

Eigentlich ist die Darmflora mehr Freund als Feind des Menschen. Sie hilft, Nahrung zu verdauen, schützt vor krank machenden Keimen, liefert Vitamine und andere Nährstoffe und trainiert das Immunsystem. Daher raten Forscher gerne: «Sei nett zu deinen mikrobiellen Freunden.»

Doch es gibt eben auch eine Kehrseite. Gerade beim Thema Übergewicht belegen mittlerweile unzählige Studien, dass die Zusammensetzung der Darmflora – die Mikrobiota – eine wichtige Rolle spielt. Ob jemand eine Cremeschnitte nur anschauen muss, um Pfunde anzusetzen, oder tellerweise Spaghetti reinschaufeln kann, ohne dabei ein Gramm zuzunehmen, hängt grossteils von den Darmmikroben ab. Denn übergewichtige Menschen sind (in der Regel) gute Futterverwerter und haben daher eine Darmflora, die deutlich mehr Kalorien aus der Nahrung schöpfen kann als jene von «Spränzeln».

Umstellung des Essens kann Mikrobenvielfalt vergrössern

Noch weiss man allerdings wenig über den optimalen Bakterienmix für ein normales Körpergewicht. Zu stark unterscheiden sich die Mikrobiota von Mensch zu Mensch, und zu komplex ist das Zusammenspiel der rund 1000 verschiedenen Mikrobenarten in unserem Darm. Forscher vergleichen die Mikrobiota gerne mit einem noch kaum erforschten Dschungel. Denn auch im Darm leben noch viele unbekannte Arten. Viele von ihnen gedeihen nur dort und können im Labor kaum gezüchtet werden.

Nun bringen gleich drei neue Studien mit Menschen und Mäusen etwas mehr Licht in den Mikrobenurwald. Demnach neigen Menschen mit einer geringen Darmfloravielfalt – dies ist die schlechte Nachricht – eher zu Übergewicht und entzündlichen Erkrankungen als solche mit einer hohen Vielfalt. Die gute Nachricht: Betroffene können durch eine radikale Umstellung ihrer Ernährungsgewohnheiten die Mikrobenvielfalt erhöhen. Und die Darmflora von dünnen Menschen kann Übergewichtige schlank machen – Mäuse zumindest.

Ob Letzteres auch für Menschen gilt, muss sich noch weisen. Die Experimente einer US-amerikanischen Forschergruppe geben diesbezüglich allenfalls Anlass zu leiser Hoffnung.

In einem ersten Schritt übertrug das Team um Jeffrey Gordon von der Washington University in St. Louis, Missouri, die Darmflora von menschlichen Zwillingen, von denen einer normalgewichtig und der andere übergewichtig war, auf keimfrei aufgewachsene Mäuse. (Die Nager hatten also keine eigene Darmflora.) Mäuse, welche die Darmflora von dem übergewichtigen Zwilling erhielten, wurden selber dick. Mäuse mit der transplantierten Darmflora des normalgewichtigen Zwillings hingegen blieben schlank.

Bei schlechter Ernährung verschwand der Transfereffekt

Als die Forscher dann Mäuse mit unterschiedlicher Darmflora in einem Käfig zusammentaten, nahmen auch die Mäuse mit der «übergewichtigen» Flora kaum zu, berichteten die Forscher vergangene Woche im Magazin «Science». Der Grund: «Mäuse tauschen ihre Mikroben leicht untereinander aus», sagt Gordon und spielt dabei auf die Tatsache an, dass Mäuse Kotfresser sind.

Das Fazit: Offenbar können sich gewisse «schlank machende» Bakterien aus einer «normalgewichtigen» Darmflora auch in einem Darm mit einer «Übergewichtsflora» ansiedeln. Mit einer Einschränkung: Die Übertragung der Schlankmacherbakterien funktionierte nur, wenn die Mäuse faserreich und fettarm, also gesund, ernährt wurden. Erhielten sie eine fettreiche, faserarme Nahrung, verschwand der Transfereffekt.

Christophe Lacroix von der ETH Zürich kennt Gordons Studie. «Das sind sehr elegante Experimente», sagt der Lebensmittelingenieur, der selber an der Darmflora forscht. Es müsse sich allerdings noch zeigen, ob die Erkenntnisse auf den Menschen übertragen werden können. Falls ja, könnten daraus durchaus neuartige Therapien für Fettleibigkeit entwickelt werden. Etwa eine Kombination von einer Mikrobiota-basierten Therapie mit einer gesunden Ernährung.

Möglicherweise wird man in Zukunft Fettleibigkeit sogar mit Stuhltransplantationen – also dem Verabreichen einer aufgereinigten Spenderdarmflora – behandeln können (s. Kasten S. 62). «Das ist nicht abwegig», sagt Gerhard Rogler von der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie am Universitätsspital Zürich (USZ).

Dass man mit einer Ernährungsumstellung durchaus die Darmflora verändern kann, zeigen auch zwei Studien, die letzte Woche in «Nature» veröffentlicht wurden. In der einen Studie untersuchten Forscher die Zusammensetzung der Darmflora von 292 Dänen; in der anderen analysierten sie die Mikrobiota von 49 übergewichtigen Franzosen und setzten diese zudem auf eine sechswöchige Diät.

Die Studien zeigten: Etwa jede vierte Testperson hatte eine geringe Mikrobenvielfalt im Darm, drei Viertel eine hohe Vielfalt. Als Mass für die Diversität bestimmten die Forscher mit einer Methode namens quantitative Metagenomik die Anzahl unterschiedlicher Bakteriengene im Kot. In der dänischen Studie stellte sich heraus, dass jene Probanden mit der geringen Diversität (im Schnitt 400 000 Gene) tendenziell häufiger übergewichtig waren und an Entzündungen litten als Probanden mit einer hohen Vielfalt (im Schnitt 750 000 Gene). Ganz eindeutig ist der Zusammenhang indes nicht: Es gibt auch Fettleibige mit einer hohen und Normalgewichtige mit einer geringen Darmfloradiversität.

Von der eiweissreichen, energiearmen Diät profitierten in der französischen Studie vorab jene Probanden mit einer geringen Mikrobenvielfalt. Bei ihnen nahm die Diversität zu und gewisse Krankheitszeichen tendenziell ab. Allerdings hatte die Diät keinen Einfluss auf die leichten Entzündungen, die mit einer geringen Mikrobenvielfalt einhergehen.

So faszinierend die neuen Erkenntnisse auch sind: Sie sind letztlich noch kein Beweis dafür, dass eine geringe Mikrobiotavielfalt ursächlich zu Übergewicht und Entzündungen führt. Genauso gut könnte es auch umgekehrt sein: Die Mikrobenvielfalt könnte einfach den allgemeinen Gesundheitszustand widerspiegeln.

Trotzdem: Dass man mit der Ernährung die Darmflora anscheinend nachhaltig verändern kann, ist auch für Experten eher überraschend. «Die Darmflora ist an sich sehr stabil», sagt Gerhard Rogler vom USZ. Selbst nach einer Antibiotikakur sei sie nach etwa acht Wochen wieder die Alte, sagt der Spezialist für entzündliche Darmerkrankungen.

Rogler selber konnte kürzlich zeigen, dass nicht nur die Ernährung, sondern auch ein Rauchstopp die Darmflora massiv beeinflussen kann. Für die Studie untersuchte sein Team Stuhlproben von zehn Personen, die mit Rauchen aufgehört hatten, während neun Wochen. In dieser Zeitspanne breiteten sich Bakterien der Stämme Firmicutes und Actinobacteria aus, während Mikroben der Stämme Proteobacteria und Bacteroidetes weniger wurden. Im gleichen Zeitraum legten die Rauchstopper im Schnitt 2,2 Kilo an Gewicht zu – ein weiterer klarer Hinweis dafür, dass es zumindest eine enge Korrelation gibt zwischen der Darmflora und dem Körpergewicht.

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Die Hoffnung liegt im Kot

Wirklich appetitlich ist die Therapie nicht, dafür anscheinend umso wirksamer: Stuhltransplantationen können lebensbedrohliche Darminfektionen heilen – und möglicherweise noch viel mehr.

Vor drei Jahren wagte Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich erstmals den unorthodoxen Eingriff bei einer Patientin, die wegen einer Infektion mit dem Darmkeim Clostridium difficile an krampfartigen Bauchschmerzen, Durchfall und Fieber litt. Die Ärzte spülten den Darm der Patientin und spritzten danach gereinigten Kot einer Verwandten ein. Die Therapie war erfolgreich. Seither hat Rogler 14 weitere Patienten mit einer C.-difficile-Infektion behandelt – bis auf einen sind alle geheilt.

Derweil testen Forscher weltweit die Stuhltransplantation bei einer Reihe weiterer Darmerkrankungen wie Reizdarm, chronischer Verstopfung, Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn. Holländische Forscher haben die Methode bei Patienten, die am metabolischen Syndrom leiden, erprobt – ebenfalls mit Erfolg. Bei den Patienten hat sich nach der Transplantation mit aufgereinigtem Kot eines dünnen Spenders die Insulinsensitivität erhöht. Das metabolische Syndrom gilt als Vorstufe von Diabetes.

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 8.9.2013