Roche investiert viel in die Forschung gegen den Hirnzerfall bei Alzheimer – doch anders als angekündigt, ist in den nächsten 10 Jahren wohl kein Durchbruch absehbar
Von Nik Walter
«In zehn Jahren», sagte Franz Humer, der zurückgetretene Verwaltungsratspräsident von Roche am letzten Sonntag in dieser Zeitung, «wird man Alzheimer, wie heute einige Krebsarten, als chronische Erkrankung behandeln können.» Diese optimistische Aussage kontrastiert scharf mit der Ernüchterung, die sich in den letzten Jahren im Feld der Alzheimer-Forschung breitgemacht hat. Zu viele hoffnungsvolle therapeutische Ansätze sind in grossen klinischen Studien einer nach dem anderen grandios gescheitert.
Da stellt sich die Frage: Ist Humers Optimismus berechtigt, oder spielt da auch eine gute Portion Wunschdenken mit? Roche setzt nämlich mittel- bis langfristig auf die Neurowissenschaften. Der Basler Pharmamulti will so seine grosse Abhängigkeit vom Krebsgeschäft mindern und sein Portfolio diversifizieren.
Wer als Erster ein Alzheimer-Medikament auf den Markt bringt, das den Verlauf der Demenzerkrankung stark bremsen oder gar stoppen kann, dem winkt ein globaler Markt von geschätzten 10 Milliarden Franken pro Jahr. Diesen Jackpot hat bislang noch niemand geknackt. Weltweit laufen derzeit aber über 500 klinische Versuche, im Rahmen derer neue (oder altbekannte) Substanzen gegen den Hirnzerfall an Patienten und Gesunden erprobt werden. Das beliebteste Ziel der getesteten Wirkstoffe: Ablagerungen von Amyloid-Beta-Eiweissen (Aß), sogenannte Plaques, die als eine Art Markenzeichen der Alzheimer-Demenz gelten. Gemäss gängiger Lehrmeinung zerstören Aß-Eiweisse die Gehirnzellen und gelten daher als Hauptschuldige für die Alzheimer-Demenz.
Der letzte Rückschlag kam im Sommer 2012
Vor 15 Jahren nahm die irische Firma Elan die Aß-Eiweisse erstmals ins Visier. An 372 Patienten, die an einer milden bis moderaten Form der Demenz litten, testeten sie Anfang der 2000er-Jahre einen Impfstoff gegen das verklumpende Eiweiss. Das Prinzip funktionierte zwar – die Impfung reduzierte die Zahl der Plaques deutlich. Doch sechs Prozent der Patienten erlitten eine Gehirnentzündung. Der multinationale Versuch, bei dem auch Patienten in Zürich behandelt wurden, musste 2002 abgebrochen werden.
Von diesem ersten Rückschlag liessen sich die Pharma- und Biotechfirmen aber nicht entmutigen. Sie entwickelten (und entwickeln) weiter diverse Wirkstoffe, die alle das Ziel haben, die Aß-Eiweisse zu bekämpfen. Mehrere dieser Substanzen wurden oder werden auch an Patienten getestet, manche davon sogar im Rahmen grosser Zulassungsstudien.
Doch bislang scheiterten alle neuen Arzneien in der klinischen Prüfung – entweder weil sie nicht besser als ein Placebo wirkten oder weil die Studien wegen zu heftiger Nebenwirkungen abgebrochen werden mussten. Der letzte Rückschlag kam im Sommer 2012, als bekannt wurde, dass die Wirkstoffe Bapineuzumab (Janssen, Pfizer) und Solanezumab (Eli Lilly) in mehreren grossen Studien wirkungslos blieben. Bapineuzumab und Solanezumab sind Antikörper, die das Aß-Eiweiss aus dem Verkehr ziehen.
Einen ähnlichen Antikörper, Gantenerumab, testet Roche derzeit in einer multinationalen klinischen Studie. Der Unterschied zu den gescheiterten Versuchen: Roche berücksichtigt nur Patienten in einem sehr frühen Alzheimer-Stadium. Je früher man die Krankheit bekämpft, so die Idee, desto besser sind die Behandlungschancen. «Wir sind optimistisch», sagt Hansruedi Lötscher, Verantwortlicher für Molecular Neuroscience bei Roche und Mitentwickler von Gantenerumab.
Weniger zuversichtlich klingt es in der «Financial Times». Gantenerumab könnte das gleiche Schicksal ereilen wie Bapineuzumab, schreibt das britische Blatt und beruft sich dabei auf Aussagen von Pharmaexperten.
Die Idee, man müsse Alzheimer respektive die Aß-Eiweisse möglichst früh bekämpfen, um das Fortschreiten der Demenzerkrankung zu stoppen, ist unter Experten weitverbreitet. Daher sind die Hoffnungen in klinische Versuche wie jenen von Roche gross. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Zürcher Biotech-Firma Neurimmune zusammen mit der Firma Biogen Idec. «Die Resultate mit dem Antikörper BIIB037 sind bislang erfreulich», sagt Roger Nitsch, Präsident von Neurimmune und Direktor der Abteilung Psychiatrische Forschung an der Universität Zürich.
US-Forscher präsentieren einen experimentellen Bluttest
Noch früher eingreifen, nämlich präventiv, wollen zwei Forschungsnetzwerke bei Patienten, die an einer seltenen vererbten Form von Alzheimer leiden und schon ab 40 Jahren dement werden. Bei beiden klinischen Versuchen kommt jeweils ein Wirkstoff von Roche zum Einsatz: Gantenerumab respektive Crenezumab. Resultate dieser Tests werden nicht vor 2020 erwartet.
Es ist aber nicht gesagt, dass die Ergebnisse, die für vererbte Alzheimer-Formen gelten, auch für die viel häufigeren sporadischen Formen Gültigkeit haben. Möglicherweise handle es sich dabei um zwei unterschiedliche Erkrankungen, die beide mit den Aß-Ablagerungen enden, sagte die Alzheimerforscherin Irene Knüsel vor gut einem Jahr in der SonntagsZeitung (hier) und stellte damit die gängige Theorie infrage. Bei der sporadischen Form seien die Plaques eher eine Folge von stark beschädigten Zellen als deren Ursache. Knüsel, die an der Uni Zürich forschte und heute Gruppenleiterin bei Roche ist, denkt, dass eine chronische Entzündung am Anfang von Alzheimer steht.
Keine Frage, es wird in den nächsten Jahren Fortschritte bei Diagnose und Therapie von Alzheimer geben. Erst letzte Woche etwa haben US-Forscher einen experimentellen Bluttest präsentiert, der die Demenzerkrankung schon drei Jahre vor den ersten Symptomen erkennt. Solche Tests sind zentral, um die Demenz möglichst früh behandeln zu können. Ob Alzheimer allerdings in zehn Jahren wie Krebs behandelbar sein wird, steht in den Sternen. «In der Forschung kann man nie vorhersagen, was in zehn Jahren sein wird», sagt Lötscher, «wir sind aber auf gutem Weg.»
Publiziert in der SonntagsZeitung vom 16.3.2014